Europa gibt die (Zins-) Richtung vor

Carsten Mumm

US-Präsident Donald Trump dürfte in diesen Tagen neidisch nach Europa schauen, zumindest mit Blick auf die Geldpolitik. Denn anders als von ihm seit Monaten bei der US-Notenbank Fed eingefordert, sinken in der Eurozone seit rund einem Jahr stetig die Leitzinsen – ausgehend von 4,50 auf mittlerweile 2,15 Prozent p.a. In den USA hingegen stehen im bisherigen Senkungszyklus nur drei und in diesem Jahr noch keine Anpassungen zu Buche. Die Leitzinsspanne liegt mit 4,25 bis 4,50 Prozent p.a. auf einem deutlich höheren Niveau.

Die Zeiten, in denen europäische Geldpolitik vermeintlich nur den US-Vorgaben folgte, sind damit offensichtlich vorbei. Den Hintergrund dieser Diskrepanz mag Trump hingegen kaum nachvollziehen. So ist die Inflation in der Eurozone im Mai mit 1,9 Prozent unter die geldpolitische Zielmarke von 2 Prozent gerutscht. Die Projektionen der EZB gehen im Mittel des kommenden Jahres sogar nur von 1,6 Prozent Teuerungsrate aus. Vor allem die im Vergleich zum Vorjahr deutlich gesunkenen Energiepreise und der stark aufgewertete Euro, durch den in Dollar gehandelte Rohstoffe an den Weltmärkten günstiger eingekauft werden können, drückt hierzulande die Preisniveaus. In den USA liegt die Inflation mit 2,4 Prozent derzeit zwar nur marginal höher, allerdings ist davon auszugehen, dass Zollanhebungen sowie die restriktive Migrationspolitik der US-Regierung künftig steigende Preise zur Folge haben werden.

Im weiteren Jahresverlauf ist vonseiten der EZB noch mit ein bis zwei weiteren Leitzinssenkungen zu rechnen, wenngleich bei der nächsten Ratssitzung Mitte Juli zunächst eine Zinsanpassungspause eingelegt werden könnte. Die Fed hingegen hat aus ökonomischer Perspektive bisher keine Veranlassung die Leitzinsen zu lockern. Denn neben der noch erhöhten Teuerung ist die zweite Zielkomponente der US-Notenbank, ein hohes Beschäftigungsniveau, trotz zunehmender Anzeichen für eine wirtschaftliche Abkühlung in den USA derzeit nicht gefährdet. Vielmehr sorgt die mit 4,2 Prozent anhaltend niedrige Arbeitslosigkeit weiterhin für einen dynamischen Lohnanstieg in Höhe von zuletzt 0,4 Prozent im Mai und damit lohninduzierte Inflationsgefahren. Erst wenn das schwächere Wachstum in den kommenden Monaten auch auf den Arbeitsmarkt durchschlagen sollte, könnte die Fed sich veranlasst sehen, ebenfalls die Leitzinsen zu senken – dem zunehmenden politischen Druck vonseiten der US-Regierung zum Trotz.

Newsletter vom 02. Juli 2025

Carsten Mumm – Chefvolkswirt und
Leiter der Kapitalmarktanalyse
Privatbank Donner & Reuschel

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