Die europäische Energiekrise


Am 23. Juni hat die Bundesregierung die zweite von drei Stufen des Notfallplanes Gas ausgerufen. Gas ist nun ein knappes Gut, sagte der Wirtschaftsminister Robert Habeck. Was folgt daraus?

In Deutschland stammen rund 20 Prozent des Primärenergiebedarfs aus russischem Gas, davon kommt etwa die Hälfte allein aus der Gas-Pipeline Nordstream 1. Diese Leitung transportiert derzeit nur 40 Prozent ihrer normalen Menge. Im Juli wird sie planmäßig ganz versiegen und wie es danach weitergeht, ist unklar. Das lässt die Sorgen aufleben, dass Russland den Gashahn zudrehen könnte. Dies wiederum hat die Gaspreise in Europa bereits jetzt kräftig steigen lassen – von einem Vorkrisenniveau 2020 von rund 15 bis 20 Euro pro Megawattstunde (MWh) auf derzeit über 130 Euro und eine Besserung ist derzeit nicht in Sicht. Früher oder später werden sich die hohen Gaspreise in den Gasrechnungen der Haushalte bemerkbar machen. So fürchtet Klaus Müller, Chef der Bundesnetzagentur, dass sich die Gasrechnungen für manche Haushalte verdreifachen könnten. Zwar plant die Bundesregierung Entlastungsmaßnahmen, aber die steigenden Kosten schlagen sich bereits in der Kauflaune und der Kaufkraft der Konsumenten nieder. Und das ist nicht nur auf Deutschland beschränkt. Die konkreten Auswirkungen unterscheiden sich von Land zu Land, aber im Grunde sind alle Länder Europas von den hohen Gaspreisen betroffen. So fördern die Niederlande zwar eigenes Gas, aber auch dieses ist dem europäischen Gaspreis unterworfen und hat auch dort zu deutlichen Anstiegen der privaten Gasrechnungen geführt.

Allerdings handelt es sich um ein europäisches Problem: Gas ist eben schwer zu transportieren und so kostet britisches Gas nur zwei Drittel, und auf dem US-amerikanischen Markt muss man nur rund ein Fünftel des hiesigen Preises bezahlen. Und zuletzt ist dort der Preis – genau wie der für Rohöl – sogar gesunken. Rezessionssorgen in den USA lasten auf den Preisen für Öl und andere Rohstoffe.

Was heißt das für den Anleger? Wir hatten schon in der Vergangenheit mehrfach darauf hingewiesen, dass man derzeit gute Nerven beim Investieren braucht. Das gilt jetzt noch einmal mehr. Eine Rezession in Europa hat durch die jüngsten Entwicklungen an Wahrscheinlichkeit gewonnen. Ob die Kurse an den Renten- und Aktienmärkten also ihren Tiefpunkt schon gesehen haben, ist schwer zu sagen. Für langfristig orientierte Investoren jedoch können sich Schwächephasen auch als günstige Einstiegszeitpunkte erweisen.

Newsletter vom 29. Juni 2022

Dr. Martin Moryson – Chefvolkswirt Europa
DWS

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