Die ESG-Regulierung kommt vom Kurs ab

Mein erster Chef sagte immer: „Gut gemeint ist das Gegenteil von gut gemacht.“ Dieser Spruch kommt mir aktuell immer wieder in den Sinn, wenn ich die vielfältigen Aktivitäten der Regulatoren im Zusammenhang mit der Integration von ESG-Kriterien in den Kapitalmarkt sehe. Nach knapp 30 Jahren beruflicher Tätigkeit rund um die Themen Nachhaltigkeit und nachhaltige Kapitalanlage und so manchem Rückschlag bei der Verankerung des Themas in der Real- und Finanzwirtschaft habe ich mich gefreut, dass das Thema (endlich) auch beim Gesetzgeber und den Aufsichtsbehörden angekommen ist und regulatorischen Rückenwind bekommen hat. Umfragen zeigen hier, dass die Regulatorik bei vielen Banken und Vermögensverwaltern die treibende Kraft hinter der Berücksichtigung von ESG-Aspekten im Risikomanagement, in der Kreditvergabe und in der Kapitalanlage geworden ist. Diese anfängliche Freude hat sich inzwischen mehr als gelegt, wofür es insbesondere drei Gründe gibt.

Zum einen befördern regulatorische Vorgaben und (technische) Grenzwerte die Entwicklung immer nur bis zu einem Punkt – bis zur Erfüllung der definierten Anforderungen. Beispielhaft zeigt dies die EU-Taxonomie. Hier werden für zahlreiche Branchen unter anderem Verbrauchs- und Emissionsgrenzwerte definiert, die eingehalten werden müssen, damit eine wirtschaftliche Tätigkeit als mit der Taxonomie konform und damit als nachhaltig eingestuft wird. Um hier perspektivisch die Entwicklung zu befördern anstatt sie zu bremsen, müssen entsprechende Ziel- und Grenzwerte regelmäßig überarbeitet und verschärft werden. Ob dies gelingen kann, ist angesichts der hohen Komplexität der Taxonomie zumindest fraglich.

Zum anderen fokussieren die deutschen und europäischen Regulatoren stark auf Risiken und stellen den Umgang mit Klima- und Nachhaltigkeitsrisiken oder auch die Reduzierung der negativen Auswirkungen auf Klima und Umwelt ins Zentrum ihrer Maßnahmen. Der Klima- und Umweltschutz braucht aber auch mutige Innovationen und risikobereite Investoren, die auch mal am Rande der aktuellen technologischen Möglichkeiten investieren. Ein solches Investitionsklima zu schaffen, ist mindestens genauso wichtig wie der Umgang mit Klima- und Umweltrisiken.

Besonders problematisch ist aber, dass die Regulierung so kompliziert geworden ist, dass sie ihr ursprüngliches Ziel aus den Augen verloren hat. Im Bereich der Kapitalanlage war und ist dieses, möglichst viel Kapital in nachhaltige Investitionen umzulenken, um die Transformation der Wirtschaft in Richtung der Ziele des Pariser Klimaabkommens zu finanzieren. Dazu sollte die Bekanntheit nachhaltiger Anlageprodukte bei den Anlegern beispielsweise durch die ESG-Präferenzabfrage gesteigert und die Möglichkeiten für die Anleger, die Nachhaltigkeitsqualität der Fonds einschätzen zu können, verbessert werden. Herausgekommen sind Ansätze und Fragestellungen, die nicht nur für den normalen Anleger nicht mehr nachvollziehbar sind. So soll sich der Privatanleger bei der nachhaltigen Kapitalanlage zwischen drei Optionen – der Berücksichtigung von Vorgaben der EU-Taxonomie, der Principle Adverse Impacts (PAI) oder der Offenlegungsverordnung – entscheiden, die selbst für Anlageprofis kaum verständlich sind.

Daher meine Bitte: Jetzt einmal innehalten und durchatmen, den Kopf aus den Verordnungen und Gesetzestexten heben und überprüfen, ob die Richtung noch stimmt und die Vorgaben so gestaltet werden, dass sie nicht nur gut gemeint, sondern auch so gut gemacht sind, dass wir das anvisierte Ziel erreichen können – die Finanzierung der Dekarbonisierung von Wirtschaft und Gesellschaft.

Newsletter vom 26. Oktober 2022

Rolf D. Häßler – Geschäftsführer
NKI Institut für nachhaltige Kapitalanlagen

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